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Johann Kargel

Johann Gerhard (Iwan Weniaminowitsch) Kargel (* 1849 im Kaukasus; † November 1937 in Lebedin/Ukraine) war Missionar, Prediger und Lehrer der Baptisten und Mennoniten in Russland, der die freikirchliche Bewegung in der Sowjetunion nachhaltig prägte.

Leben

Er war Sohn eines deutschen Vaters und einer armenischen Mutter (nach Gutsche). 1869 erfuhr er eine Bekehrung auf einer Dampferfahrt auf dem Schwarzen Meer und wurde noch im gleichen Jahr in Tiflis getauft von Martin Kalweit (1833-1918), der den russischen Baptismus begründete. Er wurde Mitglied der kleinen Baptistengemeinde in Tiflis, die sich zum deutschen Bund zählte. 1872 zog er nach Odessa zur Familie von Johann Wieler (1839-1889), dem Mitbegründer der Baptistengemeinde Odessa und Reiseprediger der Mennoniten-Brüdergemeinde. 1873 begegnete er dem Baptistenprediger Karl Ondra aus Wolhynien, der ihm einen Dienst in der Baptistengemeinde Soroczyn/Sorotschin vermittelte. 1874 nahm er an einem fünfmonatigen Ausbildungskurs auf der baptistischen Missionsschule in Hamburg teil (Die Lehrer Lehrer waren Oncken, Köbner und Braun). 1875 reiste er nach St. Petersburg, übernahm die kleine deutsche Baptistengemeinde dort und überwandt ihre inneren Spannungen. 1878 kam er in Berührung mit der russischen Erweckung und deren Führern Graf Modest Korff und Wassilij Paschkow. Auch begegnete er Dr. Friedrich Wilhelm Baedeker, der zu den Offenen Brüdern gehörte. 1880 begann er mit seiner jungen russischen Frau Anna eine Pionierarbeit in Rustschuk/Bulgarien im Auftrag der Hamburger Gemeinde. Hier erlebte Kargel eine Wende vom Baptistischen zum Überkonfessionellen und näherte sich außerdem der Heiligungsbewegung an. Nun wurde er vermehrt von Mennoniten-Brüdergemeinden eingeladen.

1884 zog er nach Petersburg zurück und stand von nun an ganz im Dienst der dortigen Erweckung. An der ersten Allianz-Konferenz in Russland wirkte er mit neben Paschkow, Korff und Baedeker. Als die Konferenz von der Polizei aufgelöst und Korff und Paschkow des Landes verwiesen wurden, übernahm er die Betreuung der Gläubigen. Weil der polizeiliche Druck zunahm, zog er 1888 mit seiner Familie nach Hapsal in Estland, zwei Jahre später nach Finnland. Erst 1898 kehrte er nach Petersburg zurück, hatte aber die ganze Zeit Kontakt zu den Gläubigen dort, um sie zu stärken. Er fühlte sich am meisten mit den Mennoniten-Brüdergemeinden verbunden. 1884 unternahm er eine Missionsreise mit Johann Wieler in die deutschen Kolonien an der Wolga. 1887 bis 1895 besuchte er die Mennonitengemeinden auf ihren Konferenzen und gab Bibelunterricht. Viele Reisen unternahm er gemeinsam mit Dr. Baedeker. Kargel wagte es seit 1884 auf russisch zu predigen und dolmetschte Dr. Baedeker. Sie hielten Vorträge in Gemeinden verschiedener Konfessionen, suchten verfolgte Brüder in ihren Verbannungsorten auf und begannen eine Gefängnismission auf ihren Reisen 1890 und 1895. Baedeker wurde sein väterlicher Freund und theologischer Lehrer.

In Petersburg predigte Kargel gern über die Heiligung, aber die jungen Leute folgten Ivan Prochanow (1869-1935), der mit ihnen eine neue Gemeinde gründete, die er „Evangeliumschristen“ nannte. Dennoch fanden Kargel und Prochanow wieder zusammen und hielten seit 1905 gemeinsam Bibelkurse ab. Kargel unterrichtete die Themen Sünde und Heiligung, später wandte er sich der Auslegung der Offenbarung zu, was in Russland niemand zuvor unter den Evangeliumschristen und Baptisten gelehrt hatte. Von 1906 bis 1911 erschien seine Auslegung der Offenbarung in deutscher Sprache in der Zeitschrift „Der Hausfreund“. In den 1920er Jahren predigte und unterrichtete er auf diversen Bibelkursen. Seinen Lebensabend verbrachte Kargel in der Ukraine. Kargel hat durch seine Schriften die freikirchliche Bewegung in der Sowjetunion bis ans Ende der 1980er Jahre nachhaltig geprägt. Er war seit 1880 verheiratet mit Anna Aleksandrowa; sie hatten zwei Töchter. (RF nach Johannes Dyck)

zur Biographie: Johannes Dyck, Johann Kargel und der Weg zu seiner Auslegung der Offenbarung, in: BSB-Journal.de. Theologische Zeitschrift für Gemeinde und Mission, Bibelseminar Bonn, Nr. 2 vom November 2011, S. 25-33: https://bsb-online.de/wp-content/uploads/2020/08/bsb-journal-de-2011-2.pdf.

Gregory Nichols, Ivan V. Kargel (1849-1937) and the Development of Russian Evangelical Spirituality. PhD Diss. Prag (IBTS) 2009.

Autobiographie : Johann Kargel, Zwischen den Enden der Erde. Unter Brüdern in Ketten, Wernigerode 1928 (222 S.).

vgl. auch: Albert W. Wardin, The Baptists in Bulgaria, in: The Baptist Quarterly 34.4 (October), 1991, 148-159: http://biblicalstudies.gospelstudies.org.uk/pdf/bq/34-4_148.pdf

Veröffentlichungen

seit 1895 Artikel in „Der Zionsbote“, der Zeitschrift der Mennoniten in den USA.

Licht aus dem Schatten oder zweiunddreißig Vorträge über die Stiftshütte, das Opfer und die Priester, Danzig 1896 (385 S., allegorische Deutung der Stiftshütte).

Der Hausfreund, 1906-1911 (Auslegung der Offenbarung).

Glaubensbekenntnis, 1913. (vgl. dazu Ian Randall, in: ThGespr 2009, Beiheft 10, S. 65 und Erich Geldbach [Hg], Baptisten weltweit, 2021, S. 327f)

Christus - unsere Heiligung, 1926 (russisch); Gotha, 123 S.; 2.Auflage Kassel 1995 mit dem Untertitel: Ein Ruf zum Wachsen in der Gnade Gottes (deutsch).

Zwischen den Enden der Erde. Unter Brüdern in Ketten, Wernigerode 1928 (autobiographisch, 222 S.); Auflage 2017 (russisch, 239 S.): https://www.lio.org/shop/images/products/media/01-412_01_Kargel,%20Iwan%20-%20Zwischen%20den%20Enden%20der%20Erde%20download.pdf

vgl. auch: Wilhelm Kahle, Evangelische Christen in Rußland und der Sovetunion. Ivan Stepanovic Prochanov (1869-1935) und der Weg der Evangeliumschristen und Baptisten, Wuppertal und Kassel 1978, S. 576f (weitere Artikel und Bücher in deutsch und russisch).

Literatur

Lexikonartikel

http://wiki.wolhynien.net/index.php/KARGEL,_Johann_G.

http://wiki.wolhynien.net/index.php/Baptisten-Gemeinde_Sorotschin

http://gameo.org/index.php?title=Kargel,_Johann_(ca._1846-1933) (Global Mennonite Encyklopedia online)

Enzyklopädie der Russlanddeutschen: https://enc.rusdeutsch.eu/articles/3997

Täuferbote November 1937, S. 3;

Waldemar Gutsche, Westliche Quellen des russischen Stundismus, Kassel (1956) ²1957, S. 66f;

Waldemar Gutsche, Religion und Evangelium in Sowjetrussland zwischen zwei Weltkriegen (1917-1944), Kassel 1959, S. 63;

Donat, Ausbreitung, 1960, S. 139.179.181.182.188.258.384;

Robert Kluttig, Geschichte der deutschen Baptisten in Polen 1858-1945, Winnipeg/Kanada 1973, S. 95.277.279.281f;

Hans Brandenburg, Christen im Schatten der Macht. Die Geschichte des Stundismus in Rußland, Wuppertal 1974, S. 128f.151;

W. Kahle, Evangelische Christen in Rußland und der Sovetunion. Ivan Stepanovic Prochanov (1869-1935) und der Weg der Evangeliumschristen und Baptisten, Wuppertal/Kassel 1978, Register und S. 576 (Ivan Venj. Kargel);

G.K.Parker, Baptists in Europe. History and Confessions of Faith, Nashville/TN 1982, S. 155f;

Wiard Popkes, Gemeinde - Raum des Vertrauens. Neutestamentliche Beobachtungen und freikirchliche Perspektiven, Wuppertal und Kassel 1984 S. 184;

Heinrich Löwen, In Vergessenheit geratene Beziehungen. Frühe Begegnungen der Mennoniten-Brüdergemeinde mit dem Baptismus in Rußland - ein Überblick, Logos-Verlag, Bielefeld 1989, S. 18.24.71;

Albert W. Wardin, The Baptists in Bulgaria, in: The Baptist Quarterly 34.4 (October), 1991, 148-159: http://biblicalstudies.gospelstudies.org.uk/pdf/bq/34-4_148.pdf;

Wilhelm Kahle, Zur Periodisierung der Geschichte des evangelischen Freikirchentums in Rußland und in der Sowjetunion, in: Verein zur Förderung der Erforschung freikirchlicher Geschichte und Theologie (Freikirchenforschung), Referate des 3. Symposiums April 1991, Münster 1991, S. (3-10) 8;

MILLER, Donald N, In The Midst of Wolves. A History of German Baptists in Volhynia, Russia, 1863-1943, Portland/Oregon 2000, S. 62-66.286;

Johannes Reimer, Theologie und Mission der Russlanddeutschen, in: ThGespr 2008, Heft 1, S. (3-22) 8;

Gregory Nichols, Ivan V. Kargel (1849-1937) and the Development of Russian Evangelical Spirituality, PhD Diss. Prag, IBTS, 2009;

Ian M. Randall, Communities of Conviction. Baptist beginnings in Europe, Schwarzenfeld 2009, Index;

Ian Randall, „Rat und Hilfe“. Überörtliche baptistische Gemeinschaft in der Geschichte des europäischen Baptismus, in: ThGespr 2009, Beiheft 10, S. 65;

Waldemar Zorn, Farben der Geschichte. Erzählungen aus der Geschichte des Missionsbundes Licht im Osten. Zum 90-jährigen Jubiläum, Korntal-Münchingen 2010, S. 35, online: https://www.lio.org/shop/images/products/media/99-443_01_Zorn,%20Waldemar%20-%20Farben%20der%20Geschichte_download.pdf;

Johannes Dyck, Johann Kargel und der Weg zu seiner Auslegung der Offenbarung, in: BSB-Journal.de. Theologische Zeitschrift für Gemeinde und Mission, Bibelseminar Bonn, Nr. 2 vom November 2011, S. 25-33: https://bsb-online.de/wp-content/uploads/2020/08/bsb-journal-de-2011-2.pdf;

Albert W. Wardin Jr, On the Edge. Baptists and other Free Church Evangelicals in Tsarist Russia, 1855-1917, Eugene/OR 2013 (533 S.), Register;

Hartmut Wahl (Hg), Aufzeichnungen und Erinnerungen von Johannes Warns (1874-1937). Bd. 1: 1874-1918. Von Osteel bis Berlin, Hammerbrücke 2021, S. 364;

Erich Geldbach (Hg), Baptisten weltweit. Ursprünge, Entwicklungen, Theologische Identitäten (Die Kirchen der Gegenwart 7), Göttingen 2021 (Bensheimer Hefte 118), S. 327f.

Bildnachweis: Licht im Osten e. V. (Zwischen den Enden der Erde, Wernigerode 1928; 2017).